Die kleine Familie vom afrikanischen Kontinent

Die kleine Familie vom afrikanischen Kontinent

Eine Erzählung über die Patenschaft von Flüchtlingen und Einheimischen

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Als ich gefragt wurde – im Mai 2015 – ob ich eine Mutter aus einer Flüchtlingsunterkunft zum Standesamt begleiten würde, um sie dabei zu unterstützen, eine Geburtsurkunde für ihre im Mai 2015 geborene Tochter zu beantragen, antwortete ich sofort mit einem klaren JA. Schon neu und auch spannend für mich, der Mama und ihren Töchtern (Mädchen, damals 3jährig und Mädchen, gerade geboren), eben nicht nur einer Mama und deren Töchtern, sondern der Flüchtlingsmama und den Flüchtlingskindern! zu begegnen.

Und: es war entspannt, zwar ein wenig abwartende Haltung bei der Mama, dafür bei der dreijährigen Tochter sofort Vereinnahmung meiner Person, ein zuckersüßes Baby, Verständigung auf Englisch – Nulldeutschkenntnisse.

Erste Begegnung: gutes Gefühl – scheinbar (denn wissen kann ich es immer noch nicht so ganz) beidseitig. Am nächsten Morgen der Gang zum Amt. Langsame gesprächige Annäherung zwischen der Mama und mir. Sie könnte übrigens locker meine Tochter sein; ihre Kinder ebenso meine Enkel!! Ein paar Monate später, als wir uns viel näher fühlten, äußerten die  Mama und die große Tochter: du könntest unsere Oma sein!

Unsere Erfahrung beim Amt:

Ich vermute – weil die Beamtin sich eher nicht kooperativ zeigte -, wenn die Mama ohne mich hätte agieren müssen, wäre sie auf harte Fronten bei der Dame gestoßen.A little small talk; Verständnis für die Situation der Beamtin, Verständnis für die Mama und Kinder versuchen zu gewinnen; immer die Mama einbeziehend; Erklärung der Situation der Mama mit Kindern; Papiere nicht eindeutig; Vater: leider nicht mehr bekannt, wo er  lebt (nicht in D)…. uswusf. Fazit: Am nächsten Tag konnte die Mama die Geburtsurkunde für das Neugeborene abholen! Das erledigte sie ohne mich.

Die Tandempatin, d.h. eine weitere Frau, die Aktivitäten mit den Dreien unternimmt, war von Beginn an da, eher im Hintergrund – aus zeitlichen Gründen. Wir beide haben unterschiedliche Schwerpunkte, sich rein zufällig aus unseren persönlichen Situationen und den Belangen, Bedürfnissen unserer Drei ergebend. Wir Tandempatinnen ergänzen uns in unseren zeitlichen, persönlichen Möglichkeiten und Vorlieben.

Einerseits ab und zu persönliche Begegnungen, entweder nur die Mama oder nur die Kinder (Kino, Schwimmbad, Spielplatz, Wilhelma),  andererseits wöchentlich feste Termine (die Kinder während Mama Deutsch lernt betreuen) und Verabredungen, auch spontane (gemeinsame Lunches oder Abendessen; Kinderbaden in der Wanne mit anschließendem Schlafen in der Patinnenwohnung…) und gemeinsame Aktivitäten, also all together, z.B. Ausflug, grillen im Wald und Spielplatz; Geburtstage zelebrieren, gemeinsames Weihnachtsbacken und -kochen… Dabei haben wir Patinnen im Blick, mit der kleinen afrikanischen Familie unsere deutsche Kultur gemeinsam zu leben und ihre afrikanische kennenzulernen.

Deutlich ist über die mittlerweile vielen Monate geworden, wie groß der kulturelle und – in dieser Konstellation – der Unterschied des Bildungshintergrunds sind. Die Mama ist Analphabetin, will lernen, erfahren, wissen,  lernt seit einem Jahr Deutsch, versteht mittlerweile viel, aber spricht noch nicht gut; vielleicht auch weil sie eine Bremse in sich hat, nicht gut genug zu reden und sich schämt. Aber weiß ich das wirklich?

Gespräche  über die  persönliche Situation und die Vergangenheit der Mama sind nicht einfach. Meine Offenheit ist nicht die ihre. Sie erzählt mittlerweile Persönliches in sehr entspannten Situationen, z.B. wenn ich gekocht habe, die Kinder haben gebadet, wir essen gemeinsam, anschließend schlafen die Drei bei mir, die Kinder haben viel Freiraum, die Mama und ich können  genüsslich ein Glas Wein trinken. Dann kann ich etwas über ihre Ursprungsfamilie erfahren, dass sie noch eine viel ältere Tochter hat, die bei ihrer Schwester auf dem afrikanischen Kontinent lebt…. Die Mama fragt auch nach mir, nach meiner Geschichte, mit großen Ohren, sehr interessiert und z.T. auch nicht glauben könnend. Dann merke ich, die Mama hört nicht gerne – verständlicherweise -, dass sie damit rechnen muss in das europäische Drittland, über das sie eingereist ist, zurück zu müssen; dass bezahlbarer Wohnraum in Stuttgart Mangelware  ist – auch für Deutsche; auch dass jeder Liter Wasser aus dem Hahn, jegliche Energie wie Heizung, Strom oder Gas, die Müllabfuhr Geld kosten…..

Die Mama und die Kinder freuen sich über so Vieles…. und ich auch. Sie geben mir immer wieder Rätsel auf;

ich ihnen vermutlich ebenso. Sich darüber zu verständigen ist  kompliziert. Ich bin es gewohnt, mich zu Persönlichem, Schwierigem, Erfreulichem, Traurigem zu äußern, verbal oder nonverbal….. Die Mama nicht.

Und ich werde  gerne – gemeinsam mit meiner Tandempatin – an der kleinen afrikanischen Familie dran bleiben.

sm/Stuttgart im August 2016

 

afrikanisch: um den Staat nicht zu nennen und Rückschlüsse auf die Familie nehmen zu können.